Ein Buch sollte jedem, der es zur Hand nimmt, ein Hoffnungsträger sein. "Buche" und "Bukwa", den Baum und den Buchstaben trägt es in sich vereint, Natur und Geist hat es handlich und faßbar gemacht. Redeckers Buch aus gewachsenem Holz wandelt ohne eineinziges Wort diese Idee zum Objekt, zur faßbaren Realität. Das Holz ist in seiner Ursprungsgestalt in ihm erhalten geblieben. Zwei schlichte Metallbeschläge fügen die beiden Teile des Ganzen wieder zum Ganzen zusammen. Ein stählerner Würfel, klein wie beim Spiel, kühl und von strenger Geometrie, gibt diesem Werk den Titel. Der fest verschraubte hölzerne Griff im unteren Drittel des Deckels fordert zum Aufschlagen auf. Nun liegen in üblicher Größe und Form die Innenseiten der hölzernen Deckel vor mir auf dem Pult bereit. Dem tastenden Blick, den lesenden Fingern hat sich das Buch geöffnet. Nur eine Stelle, links oben auf Seite zwei, wird wohl für immer versiegelt bleiben. Eine harte und glatte Plombe, ein Stahlniet steckt tief im Holz, als sei der Gedanke gefährlich geworden, der unentdeckt dort stand. Wie soll ich zu lesen beginnen? Kein geduldiges, glattes Papier trägt seine schwarzweiße Botschaft, nicht einmal ein gelbbrauner Blindenschriftbogen läßt sein sprödes Knistern vernehmen. Vergeblich bleibt meine Suche nach den Sechs Punkte Kombinationen von Louis Braille. Es dauert, bis meine Haut die natürlichen Zeichen erspürt und zu begreifen beginnt. Der Baum selbst redet zu mir von seiner Mühe zu wachsen. Die Textur seiner Fasern, die Knoten der Lebenslinien bilden den wortlosen Text. Wer ihn mit Fingern zu lesen beginnt, wer die verschlüsselte Botschaft empfindsam ertasten lernt, prägt die zwei Seiten des Buches mit eigenen Worten neu, bis seine Sinne selbst zur Besinnung kommen, bis die Fasern und Knoten der eigenen Lebensgeschichte spürbar und ablesbar werden… - Der gesamte Essay wird im Doppelbuch "Tastwege" stehen, und zwar im "Buch der Besinnung". |
Stand: Oktober 2024 |